Dienstag, 7. September 2010

kritischer Geist vs Recht haben

Ich glaube, dass es auf dem Weg zur Erleuchtung nichts Nützlicheres gibt als einen Geist der kritisch fragt. Auf diesem Weg gibt es aber auch nichts Hinderlicheres als einen Geist der Recht haben will. Der kritische Geist ist auf Wahrheitsfindung aus egal wo sie ihn hinführen mag. Der Geist der Recht haben will ist im Grunde nur an der Bestätigung seiner eigenen Wahrheit interessiert.

Beides verwechsel ich immer wieder!

Was heißt es eigentlich Recht zu haben? Nun damit ich Recht habe muss ein Anderer Unrecht haben. Recht zu haben ist also etwas Vergleichendes. Ich vergleiche meine Version der Wahrheit mit der Version der Wahrheit einer anderen Person und beschließe, dass meine Version der Wahrheit besser ist. Interessant ist, dass die Erkenntnis, dass meine Version der Wahrheit besser als die meines jeweiligen Diskussionspartners ist,  meine Ausgangsbasis ist. Das heißt ich führe die Diskussion eigentlich nur um mich in der Gewissheit, dass ich im Recht bin zu bestätigen an der Wahrheit habe ich kein Interesse (Ungefähr so funktioniert aus meiner Sicht unsere gegenwärtige politische Diskussionskultur).

Woher kommt das Bedürfnis im Recht zu sein? Aus meiner persönlichen Beobachtung kann ich einfach sagen, dass es einfach ein gutes Gefühl ist sich im Recht zu fühlen. Man fühlt sich der anderen Person überlegen. Die andere Person mag größer, schöner, stärker, reicher, beliebter usw. als ich sein. Aber ich bin im Recht. Ich weiß in dieser einen Sache mehr als sie. Es fühlt sich gut an mehr zu wissen als der Andere. Es fühlt sich gut an ihr wenigstens in dieser einen Sache überlegen zu sein. So ist das Bedürfnis Recht zu haben, eng mit dem Drang sich  mit anderen Menschen zu vergleichen und sich über sie zu stellen verbunden.

Ich beobachte bei mir selbst, dass auch meine spirituelle Suche teilweise Ausdruck des Bedürfnisses ist Recht zu haben. Im Besitz der höchsten göttlichen bzw. spirituellen Wahrheiten zu sein verschafft ein schier unangreifbares Gefühl der Überlegenheit. "Ich bin der Erleuchtete" oder "Ich bin der Bewusste" tönt es in meinen Gedanken und die Anderen sind die Unbewussten, die nicht Erleuchteten. So ist das Feld der höchsten Wahrheiten, wer hat Recht, denn auch das Feld um das brutal und unnachgiebig auf diesem Planeten gekämpft wird. 

Der Geist der Recht haben will ist durchaus in der Lage kritisch zu fragen. Allerdings nur solange die Fragen seine eigenen Wahrheiten nicht berühren. Bei den "falschen Wahrheiten" analysiert er messerscharf wo ihre Schwachpunkte liegen. Allerdings ist er nur an diesen Schwachpunkten interessiert. Er fragt nur was ist falsch an der Meinung des Anderen. Wo der andere Recht haben könnte interessiert ihn nicht. Die Wahrheit interessiert ihn nicht. Ganz besonders blind ist ein solcher Geist wenn es um die eigenen Wahrheiten geht. Hier verbietet er sich jede kritische Frage. Muss er sich doch einmal mit der Möglichkeit, dass er falsch liegen könnte auseinandersetzen wird er versuchen um jeden Preis an seiner Wahrheit festzuhalten und nur prüfen warum er doch im Recht ist. Muss er dennoch einmal eine Wahrheit aufgeben klammert er sich schnell an eine andere.

Der Geist der Recht haben will ist voreingenommen. Er sieht nur was er sehen will. Er ist nicht in der Lage sich selbst zu hinterfragen. Seine eigenen Wahrheiten zu hinterfragen. Derartig motiviert kann er nicht zu den höchsten Wahrheiten gelangen. Denn wenn diese seinen Wahrheiten widersprechen lehnt er sie ab. Der wahrhaft kritische Geist ist ohne Motivation. Es ist ihm egal wohin ihn die Logik führt. Er ist nicht daran interessiert sich selbst zu verteidigen. Er nutzt die Suche nach Wahrheit nicht um sich über andere zu stellen. Er ist ohne Furcht vor der Wahrheit.

Der wahrhaft kritische Geist ist ein wissenschaftlicher Geist. Er nähert sich einer Frage ohne Vorurteil ohne das Bedürfnis zu haben eine bestimmte Antwort zu bekommen. Das hört sich alles sehr banal an. Mit einfachen Fragen mag das auch unproblematisch sein. Aber auf der spirituellen Suche gerät man auch schnell an existenzielle Fragen. An Fragen bei denen es heißt "sein oder nicht sein". Kann man wenn eine Frage einen mit dem eigenen Überlebenstrieb konfrontiert unvoreingenommen sein? Kann man der Logik folgen auch wenn sie die eigene Existenz bedroht? Spirituelle Fragen haben wenn man sie wirklich genau durchdenkt genau diese Eigenschaft. Sie bedrohen die eigene Existenz. Die eigenen Wahrheiten. Und die Angst vor den Ergebnissen zu denen man gelangen könnte zwingt einen nur zu leicht abzubrechen. Hier nicht weiter zu denken. 

Der Feind des wahrhaft kritischen Geistes ist die Angst. Die Angst davor verrückt zu werden. Die Angst vielleicht Selbstmord zu begehen. Oder einen anderen Menschen zu ermorden. Jegliche Moral und Ethik und somit jegliche Kontrolle über das eigene Handeln zu verlieren. So wird das Denken in einem Gefängnis der Angst gehalten. Ein Gefängnis, dass es sich selbst baut. "Bis hier hin dann nicht weiter" scheint es zu sagen. Das Denken scheint kein Vertrauen in sich selbst zu haben. Es fürchtet die Ergebnisse zu denen es gelangen könnte. So bleibt es lieber in seinem sicheren selbst erbautem Gefängnis.

Wohin führt das wahrhaft kritische Denken letztendlich? Nun das Problem ist, dass wenn ich weiß wo es mich hinführen wird oder hinführen soll ich wieder anfange meine eigenen Wahrheiten zu bestätigen. Ich lasse meinen Verstand nicht frei arbeiten. Die Message ist doppeldeutig. Einerseits sage ich "okay widme dich dieser Frage ohne Vorurteil" andererseits "komme bitte zu diesem Ergebnis". Hierin liegt schon wieder ein Bedürfnis nach Sicherheit versteckt. Ich bin bereit meinem Verstand frei arbeiten zu lassen aber nur solange er zu einem akzeptablen Ergebnis kommt. So wird der kritische Geist zur Farce. Der Wahrhaft kritische Geist ist ohne Vorurteil und ohne Ziel.

Mit der Warnung im Ohr, dass man nicht vorher festlegen darf wohin man gelangen möchte will ich an diese Stelle einmal versuchen darzustellen zu welchen Ergebnissen ich gelangt bin. Der alte sokratische Satz "ich weiß, dass ich nicht weiß" trifft es ganz gut. Es gibt es für mich keine gedanklichen Sicherheiten mehr. Die Wahrheit ist nicht in Worten ausdrückbar. Sie kann gedanklich nicht erfasst werden. Ich kann sie nicht besitzen. Ich kann sie nur erfahren. Wenn ich die Erfahrung der Wahrheit dazu benutze mich über andere Menschen zu stellen und zu sagen meine Wahrheit ist besser als deine habe ich sie bereits verfälscht. Letztendlich trägt jeder die Wahrheit in sich. Jeder kennt sie. Wir haben sie nur vergessen. Weil wir uns in Gedanken und Worten verloren haben. Wenn wir wirklich sehen, dass Worte und Gedanken wie Wolken sind die uns am Sehen der Sonne, der Wahrheit hindern, können wir sie wegblasen (ohne Konflikte zu ihnen aufzubauen). Um dorthin zu gelangen müssen wir ohne Furcht vor unserem Denken sein. Wir müssen dem Geist die Chance geben sich selbst zu entwirren. Sonst bleiben wir immer in ihm gefangen.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen