Dienstag, 24. August 2010

der stille Beobachter

Vor ein paar Tagen habe ich während einer Zugfahrt durch ein Werk von Eckhardt Tolle geblättert. Nachdem ich ein paar Absätze gelesen hatte fiel mir ein Satz auf in dem Tolle vom stillen Beobachter spricht. Das im Beobachten selbst der Schlüssel zur Erleuchtung liegt daran hatten viele der spirituellen  Werke die ich in den letzten 12 Monaten gelesen habe wenig Zweifel gelassen. Ich hatte es immer wieder gelesen und doch hatte ich es falsch verstanden! Ich hatte das Beobachten mit dem Analysieren verwechselt.

Um mir das Prinzip des Beobachtens zu verdeutlichen gefällt mir das Bild einer Mutter die herausfinden möchte welches ihrer beiden Kinder beim Spielen immer zu streiten anfängt. Zunächst einmal ist es wichtig, dass sie nicht mitspielt am besten wäre es wenn die Kinder nicht mitkriegen, dass sie überhaupt da ist, da ja die Anwesenheit der strafenden Mutter das Verhalten der Kinder automatisch ändern wird. Viel wichtiger ist allerdings die Einstellung der Mutter. Wenn sie eines der beiden Kinder lieber mag als das andere wird sie sich wahrscheinlich kein objektives Bild von der Situation machen können, da sie geneigt sein wird kleine Provokationen des "ungeliebten" Kindes überzubewerten und solche des Bevorzugten zu übersehen. Auch sollte die Mutter ohne jeden Anfangsverdacht an die Situation herangehen. Wenn sie schon vermutet, dass eines der beiden Kinder der Provokateur ist wird sie die Situation auch durch genau diese Brille sehen. Indirekt trübt es ihre Wahrnehmung genauso  als hätte sie ein Kind lieber als das andere da sie auch hier Anzeichen die ihr Vorurteil bestätigen stärker wahrnehmen wird als solche die es widerlegen. Die ideale innere Einstellung der Mutter wäre also, dass sie keines der beiden Kinder kennt und völlig unvoreingenommen an die Situation herangeht. Freilich dürfte das für jede Mutter unmöglich sein. Festzuhalten bleibt, dass der Beobachter die zu beobachtende Sache ohne jedes Urteil wahrnehmen muss.

Vom Beobachten abzugrenzen ist die Analyse. In der Analyse schaue ich nicht unvoreingenommen auf die Sache. Vielmehr versuche ich das zu Analysierende in ein Muster zu pressen und dann auf der Grundlage dieses Musters zu beurteilen. Jeder Psychoanalyst hat für sich eine gewisse Denkschule festgelegt die er als Grundlage benutzen will um Menschen zu therapieren. Ein Patient kommt zu ihm und er beginnt sofort die Verhaltensmuster in die Kategorien einzuordnen die seine Denkschule erschaffen hat. Wenn ein Patient ihm beispielsweise erzählt, dass er Probleme mit dem Alkohol hat wird er für sich beispielsweise einordnen: "Aha der Patient benutzt Alkohol um die Auseinandersetzung mit seinen ödipalen Konflikten zu vermeiden." Bestimmte Verhaltensmuster werden auf der Grundlage der Denkschule als erwünscht andere als nicht so erwünscht betrachtet. Das Beobachten ist also ohne Vorurteil wohingegen die Analyse schon ein System hat in das das "Beobachtete" gepresst wird.

Wo ist nun die Relevanz für die Spiritualität? Nun der Punkt ist, dass ich nicht beobachtet habe ich habe analysiert. Wo ist das Problem? Nun zunächst muss man vielleicht einmal klären was ich überhaupt beobachten oder analysieren möchte. Für mich persönlich ist das der Strom meiner Gedanken. Was passiert nun wenn ich anfange den Strom meiner Gedanken zu analysieren? Ich habe einen Gedanken z.B. "alles ist Scheisse"- dann denke ich - "okay ich habe gerade gedacht alles ist Scheisse ich leiste dem Leben also Widerstand und bin dadurch im Konflikt mit dem Leben" - dann kommt die Schlussfolgerung - "wenn ich dem Leben Widerstand entgegen bringe mache ich mir das Leben zum Feind also muss ich aufhören dem Leben Widerstand entgegen zu bringen also ist der Gedanke alles ist Scheisse, schlecht!". Was ist wirklich passiert? Ich hatte einen Gedanken den ich als negativ erachtet habe weil er mich in Konflikt mit dem Leben bringt. Jetzt will ich diesen Gedanken loswerden. Ich fange also einen Konflikt mit dem Gedanken an. Einen Konflikt zwischen dem negativen Gedanken und dem Analysten. Aber was ist der Analyst? Was ist die Aussage: "okay ich habe gerade gedacht alles ist Scheisse ich leiste dem Leben also Widerstand und bin dadurch im Konflikt mit dem Leben"? Das ist doch auch ein Gedanke!!! Der Analyst ist also auch Teil des Gedankenstroms. Nur, dass sich der Gedankenstrom jetzt in zwei gespalten hat. In schlechte Gedanken und in analysierende Gedanken. Zu analysieren heißt zu denken. Der Analyst wird zu dem was er eigentlich analysieren wollte er entspringt dem Strom der Gedanken weil er selbst nur ein Gedanke ist. Nur, dass er jetzt geschickter versteckt ist.

Nun das der Analyst mich nicht zur Erleuchtung führen wird hatte ich dann auch irgendwie begriffen. Meine Meditation sah dann wie folgt aus. Erst kam der Gedanke "Alles ist Scheisse" dann die Analyse und dann der Gedanke "komm Martin du weißt doch, dass die Analyse nur einen Konflikt erschafft also hör auf zu analysieren". Es liegt auf der Hand, dass auch dieser Gedanke dem Gedankenstrom entsprang. Jetzt hat sich mein Gedankenstrom in den schlechten Gedanken, den Analysten und den Richter über den Analysten gespalten. Den Richter kann ich natürlich auch noch angreifen dann hab ich einen Richter über den Richter des Analysten. Dieses Spielchen läßt sich nun beliebig fortsetzen führt aber offensichtlich zu nichts.

Was macht nun der Beobachter? Der Beobachter greift nicht in das Beobachtete ein. Wenn der Gedanke kommt "alles ist Scheisse" sieht er den Gedanken ohne ihn zu beurteilen. Wenn der nächste Gedanke kommt "okay ich habe gerade gedacht alles ist Scheisse ich leiste dem Leben also Widerstand und bin dadurch im Konflikt mit dem Leben"sieht er ihn ohne ihn zu verurteilen. Wenn der nächste Gedanke kommt "Ich muss endlich aufhören mich selbst zu analysieren" sieht er ihn ohne ihn zu verurteilen. Wenn der nächste Gedanke kommt "Ich muss endlich aufhören mich selbst zu verurteilen" sieht er ihn ohne ihn zu verurteilen. Der Beobachter darf selbst nicht Teil des Gedankenstroms werden. Wenn sein Gedankenstrom dennoch versucht einen Beobachter zu erschaffen (er wird dann natürlich automatisch zu einem Teil des Gedankenstroms) z.B. "Ich beobachte meine Gedanken ab jetzt nur noch und verurteile sie nicht mehr" sieht der Beobachter auch diesen Gedanken ohne ihn zu beurteilen.

Der Beobachter muss still sein. Er darf nicht reden. Darf sich nicht einmischen in den Strom der Gedanken. Der Gedankenstrom ist wie eine Krake die immer wieder neue Fangarme nach dem Beobachter schmeißt um ihn zum Reden zu bringen. Er gibt sich als Gedanke aus, funktioniert das nicht mehr verurteilt er den Gedanken und wird so zum Richter, wenn das nicht fängt wird er zum Analysten, geht das nicht wird er zum Richter über den Analysten. Er wird so tun als hätte er alles verstanden, er wird sich selbst als den Erleuchteten ausgeben und wenn der Beobachter auch darauf nicht reinfällt gibt er sich halt als der Beobachter selbst aus. In dem Moment in dem ihm das gelingt in dem der Beobachter zum Gedanken wird ist er nicht mehr der Beobachter er ist Teil des Gedankenstroms geworden. Die Krake mag noch so viele Köpfe hervor zaubern, ein untrügliches Zeichen haben sie alle gemein. Sie reden! Sie benutzen Worte! Sie denken! Immer wenn Gedanken durch meinem Kopf gehen kann ich mir sicher sein, dass sie meinem Gedankenstrom entspringen. Die Krake wird es immer wieder schaffen den Beobachter zu vereinnahmen. Wenn es passiert sagt der Beobachter aber nicht "oh nein jetzt hat der Gedankenstrom es wieder geschafft mich in seinen Bann zu ziehen oh warum nur kriege ich es einfach nicht auf die Reihe mich von ihm zu trennen"! Das sagt der Gedankenstrom - der Beobachter spricht nicht!

Das Beobachten muss live passieren d.h. im jetzigen Moment d.h. ich muss den Gedanken wahrnehmen der gerade in meinem Kopf ist. Der Gedanke der vor 5 Jahren, vor 5 Minuten oder vor 5 Sekunden durch meinen Kopf geht existiert jetzt nicht mehr. In dem Augenblick in dem ich an das was ich vor 5 Jahren gedacht habe denke gibt es nur den Gedanken "ich habe damals gedacht: alles ist Scheisse". Ich denke also nur an den Gedanken vor 5 Jahren. Der Ursprüngliche Gedanke den ich vor 5 Jahren hatte ist verloren. Ich kann versuchen ihn zu reproduzieren. Mit dem Inhalt mag mir das auch gelingen (selbst das wird schwer sein - man versuche die Gedanken von vor 5 Minuten genau so noch einmal zu denken wie man sie vor 5 Minuten gedacht hat) aber ich weiß nicht mehr wie intensiv der Gedanke war wie er geklungen hat usw.
Der Beobachter guckt nicht was gerade passiert ist er lebt im jetzigen Moment. Jedes Wort oder jede Aneinanderreihung von Worten die durch meinen Kopf strömen entspringen dem Gedankenstrom. Der Beobachter ist still. Er spricht nicht. Er benutzt keine Worte.

Heißt das nun, dass ich nicht mehr analysieren darf? Mein ganzer schöner Verstand mit all seinen Fähigkeiten darf nicht mehr denken? Natürlich darf er denken. Denn auch die Ablehnung des Gedankenstroms, der Analyse der Krake ist ein Gedanke. Er darf analysieren, beurteilen, verurteilen, benennen usw. soviel er will. Der Analyst und der Beobachter können nebeneinander also gleichzeitig existieren, natürlich nur wenn der Beobachter die Klappe hält und dem Analysten gut zuhört. Genauso können der Beobachter und der Gedankenstrom parrallel existieren. Ich kann denken und gleichzeitig mein Denken beobachten. Der Gedankenstrom ist nicht der Feind. Man muss ihn nicht zum Schweigen bringen. Er muss nur beobachtet werden. Dann wird der Gedankenstrom zu dem was er eigentlich sein soll - einem Werkzeug.

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